Ansicht der barocken Fassaden in der Huttenstraße: um 1750 erbaut – 1945 zerstört – um 1950 wiederaufgebaut
Für die Architekturgeschichte Bruchsals stellt der barocke Teil der Huttenstraße gleich zweimal eine große Besonderheit dar: Erstens wurden um 1750 nur hier die strengen Bauvorschriften der Fürstbischöfe Schönborn und Hutten perfekt umgesetzt. Die beiden Herrscher hatten das Ziel, aus Bruchsal eine barocke Modellstadt zu machen. Zweitens ist dieser Straßenzug der einzige Bruchsals, der bereits bald nach dem Bombardement 1945 ziemlich kompromisslos wieder originalgetreu aufgebaut wurde, eben weil man sich damals von Seiten der Stadtverwaltung dieser historischen Bedeutung bewusst war. Über 100 andere Baudenkmäler Bruchsals gingen hingegen am 1. März 1945 für immer verloren.
Der Vereinsvorsitzende von „bruchsalia“, dem „Verein zur Erhaltung historischer Bauwerke in Bruchsal e.V.“, Dr. Jochen Wolf, zeigte sich beim Aufstellen der Stühle für die Besucher des Vortrages „Die barocke Huttenstraße – Zerstörung und Wiederaufbau“ recht unschlüssig, wie viele Stühle er im Saal der Paulskirche stellen solle – zu unklar war, welchen Zuspruch die Veranstaltung finden würde. Doch es blieb nicht bei den von ihm gestellten etwa 40 Stühlen. Nach und nach mussten aus Nebenraum und Keller des Pfarrsaales weitere Sitzmöglichkeiten geholt werden. Schlussendlich konnte Dr. Wolf bei seinem Eingangsreferat auf einen übervollen Saal und etwa 200 Besucher blicken – und nicht alle hatten die Möglichkeit zu sitzen.
Pünktlich um 19.30 begann der Referent, Oberstudienrat Florian Jung, mit seinem Vortrag. Er stellte zunächst die historische Huttenstraße vor mit einigen ihrer illustren Bewohner seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Dort wohnte der badische Regierungschef von 1848/49, Lorenz Brentano, der berühmteste Dichter Badens im 19. Jahrhundert, Josef Viktor von Scheffel, oder aber auch die erste Frau, die 1919 in den Bruchsaler Stadtrat gewählt wurde, Anna Zeiser, Mutter von zwölf Kindern. Er sprach aber auch von der Familie Denner, die in der mittleren Huttenstraße die gleichnamige Brauerei betrieb.
Konzipiert wurde die Huttenstraße, so Jung weiter, bereits Mitte des 18. Jahrhunderts, also parallel zur Vollendung des Bruchsaler Barockschlosses. Die strenge Bauordnung, die Kardinal Schönborn 1720, also noch vor Baubeginn des Schlosses, für seine künftige Residenzstadt erlassen hatte, konnte hier am Reinsten ihre Umsetzung finden. Dieser Straßenzug wurde nämlich vor den Toren der alten Stadt am Feldweg zum Kapuzinerkloster errichtet und musste nicht auf ältere Bausubstanz Rücksicht nehmen. Zentraler Gebäudekomplex der Huttenstraße war die mit Unterstützung des berühmten Barockarchitekten Balthasar Neumann geplante und 1751 bis 1753 erbaute Kaserne, die später als Landesgefängnis diente – bis heute sind die beiden wappengeschmückten Prachtbauten an der Huttenstraße erhalten.
Im 18. und noch im 19. Jahrhundert war dann die im Volksmund „Kaffeegass’“ genannte Huttenstraße die vornehmste Straße dieser Stadt. „Kaffeegass’“ deswegen, weil es dort nach Kaffee duftete. Nur die vornehmen, reichen Leute konnten sich damals Kaffee leisten, vor allem die dort wohnenden Beamten des fürstbischöflichen Hofstaates. Im Laufe der Zeit verlor die Huttenstraße ihre höfische Bedeutung, immer mehr kleine Beamte, Selbstständige oder Gewerbetreibende bezogen dort ein Domizil.
Bis zur Katastrophe des 1. März 1945, dem Tag des Luftangriffes auf Bruchsal durch eine alliierte Fliegerstaffel, einer der letzten Luftangriffe auf das nationalsozialistische Deutschland, lebten die Menschen dort ruhig, wohl sicher wussten sie von den Hinrichtungen, die auf dem Gefängnisgelände, heute Bürgerpark und -zentrum, stattfanden. Bei diesem Luftangriff wurde Bruchsal zu 80 % zerstört, über 1000 Menschen verloren ihr Leben, die Wohnhäuser des barocken Teils der Huttenstraße lagen in Trümmern.
In der Nachkriegszeit wurde, so die Recherchen von Florian Jung, in der Stadtverwaltung intensiv darüber diskutiert, was mit der zerstörten Stadt, insbesondere aber auch mit den 104 zerstörten historisch wertvollen Baudenkmälern, geschehen solle. Die stehengebliebenen Gebäudereste niederreißen oder wieder aufbauen, wenn mit vertretbarem Aufwand möglich?
Der damalige Oberbürgermeister Franz Bläsi beauftragte Dr. Dr. Otto Roegele, ein Gutachten zu erstellen. Dieser schlug vor, den gesamten Bereich der Residenzvorstadt, also das Gebiet um das Schloss, unangetastet zu lassen und betonte, dass es Ziel sein müsse, „die Eigenart unseres Gemeinwesens, als fürstbischöfliche Residenz der Barockzeit, zu betonen und überall zu wahren“. Roegele schreibt weiter: „In diesem Sinne trete ich auch für die vollständige Erhaltung der Huttenstraße als des reinsten und vollkommensten Ausdrucks Bruchsaler Baugesinnung mit allem Nachdruck ein“.
Roegele schlug außerdem vor, dass lediglich 17 der 104 zerstörten Baudenkmäler wieder aufgebaut werden sollten, nach Ansicht von Fachleuten das absolute Minimalprogramm. Dieses Gutachten traf beim damaligen Bruchsaler Gemeinderat auf große, positive Resonanz. Doch so kam es leider nicht. Beispielsweise wurden die stehen gebliebenen Mauern des Gasthauses zum Krokodil, heute Schuhhaus Berg, unnötigerweise weggesprengt, der nahezu unversehrte Spatzenturm in der Viktoriaanlage, ein Relikt aus der Bauzeit des Schlosses, wurde bis auf wenige Mauerreste, die seither für ein Trafohäuschen genutzt werden, abgerissen. Zur bitteren Wahrheit gehört auch: Von den 17 Baudenkmälern, die als absolutes Minimalprogramm wiederhergestellt werden sollten, sind 12 inzwischen spurlos verschwunden. Lediglich das Äußere der Stadtkirche, der Bergfried und die Gesamtanlage des Bruchsaler Schlosses erhielten wieder das Aussehen der Vorkriegszeit.
Im Gutachten von Roegele werden drei Straßenzüge genannt, die wieder historisch aufgebaut werden sollten. Das sind die Friedrichstraße, der Kübelmarkt (mit dem heutigen Otto-Oppenheimer-Platz) und die Huttenstraße. Bis auf die Huttenstraße wurde diese Forderung aus dem Gutachten nicht zufriedenstellend umgesetzt – und auch dies unterstreicht die Bedeutung der Huttenstraße für unser heutiges Stadtbild. Neuzeitliche Fassaden wurden in alte Gebäudeensemble hinein gezwängt, was eines augenfällig macht: Eine moderne Fassade, die in ein altes Ensemble hineingezwängt wird, wird schneller alt als ihre historische Umgebung.Der Referent nannte unter anderen ausdrücklich das Rathaus am Otto-Oppenheimer-Platz mit den „angebautenTelefonzellen im Obergeschoss“ oder das Gebäude am Kübelmarkt, in dem sich das „Saalbachstüble“ befindet. Eine städtebauliche Situation, die viele Parallelen zum Neubau in der Huttenstraße aufweist.
Nach diesem kleinen Ausflug in die Innenstadt ging Florian Jung in seinem Vortrag wieder zurück zur Huttenstraße. Anhand von Fotodokumenten zeigte er die absolut übereinstimmende Neubebauung der mittleren Huttenstraße nach dem Krieg, deren Einheitlichkeit abermals auf Kardinal Schönborns Bauvorschrift von 1720 zurückgeführt werden kann. Daran anschließend stellte Jung die Gebäude der unteren Huttenstraße vor. Auf beiden Seiten sind die ersten vier Gebäude ein gelungenes Beispiel für den architektonischen Übergang von den modernen Eckgebäuden an der Friedrichstraße zu denkmalgeschützten Barockfassaden. Beispielsweise hätten bereits die Fenster der ersten Gebäude eine zum Barock passende Breite und den passenden Abstand untereinander und es gäbe auch barock anmutende Dachgauben. Mit am wichtigsten sei aber das verspielte Traufgesims, das in gleicher Form an den jeweiligen Nachbargebäuden weiter geführt wurde. Fensterabstände, Dachgauben, Traufgesimse, steinerne Fensterumrandungen und meist sogar im Original erhaltene Torbögen machten die barocke, historische Anmutung des Ensembles aus. Um den damaligen Umgang der Stadtverwaltung mit dem barocken Ensemble in der Huttenstraße zu dokumentieren, legte Jung Baupläne aus dem Archiv seines Großvaters, des „Wiederaufbauarchitekten“ Eduard Holoch vor. Diese wurden teilweise durch den städtischen Bauausschuss abgelehnt, was deutlich macht, dass in dieser einen Straße wie nirgendwo sonst in der Stadt sehr scharf geprüft wurde, weil „an der Huttenstraße die einheitliche Bebauung gewahrt werden muss und nicht durch die Anbringung großer Fenster gestört werden darf“, so in einem Schreiben des Stadtbauamts vom 8.11.1946. Einer Zeit also, in der es in der zerstörten Stadt an allem mangelte: Baumaterialien, Facharbeitern, städtischen Mitarbeitern usw.. Des Weiteren zitierte Jung aus einem Schreiben des Stadtplanungsamts von 1948: „Mit Rücksicht auf die kunsthistorische Bedeutung der Huttenstraße ist unbedingt auf die einheitliche Lösung der Dachformen Bedacht zu nehmen“. Dies bedeutet: gleiche Traufhöhe, gleiche Firsthöhe, Dachneigung 50 Grad.
Nach diesem Rückblick in die Baugeschichte der Huttenstraße nahm Florian Jung das Bauvorhaben Huttenstraße 15 in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Folgende architektonischen Stilbrüche wurden von Jung benannt:
- Dreistöckige Bauweise, zudem ohne Konzeption eines Anschlusses an die Nachbargebäude
- Kein Aufbau von Dachgauben für das oberste Stockwerk (Die Huttenstraße weist bisher 81 identische Gauben auf)
- Anordnung der Fenster im Doppelpack als völlig untypisch für das Bruchsaler Barock
- Bodenebene Fenster im Erdgeschoss
- Fehlen von barocken Fenstergewandungen (bisher in der Huttenstraße vorhanden: 354) und eines barocken Torbogens (16 vorhanden)
- Höhe des Sockels von drei Metern
- Fehlen des barocken Traufgesimses, das in allen anderen 30 Gebäuden dieses Teils der Huttenstraße identisch ausgeführt ist.
Er wies darauf hin, dass entgegen der Behauptung des Bauherrn, der Bürgerstiftung Bruchsal, doch mit überschaubarem Aufwand auf die barocken, kulturhistorischen Belange unserer Stadt Rücksicht genommen werden könne.
Es haben sich aber im Rahmen dieser Baumaßnahme auch weitere Fragen gestellt, für die er noch keine Antworten habe. Im Erdgeschoss sollen Räume für den Pfadfinderstamm „Greif“ eingerichtet werden, was Jung durchaus positiv sieht. Aber: Stehen diese Räume auch anderen Bruchsaler Jugendgruppen zur Verfügung? Das Steuerberatungsbüro in der daneben liegenden Huttenstraße 17 „will und muss dringend erweitern“, so die Bürgerstiftung in einer Pressemitteilung. Er frage sich aber, ob diese Büroräume, die mittels eines Durchbruchs von Haus Huttenstraße 17 zu Huttenstraße 15 verbunden werden sollen, passgenau auf die Bedürfnisse des Steuerberatungsbüros ausgerichtet sind oder ob diese später auch anderweitig problemlos vermietbar seien? An dieser Stelle erwähnte der Referent, dass sowohl der vorherige als auch der jetzige Eigentümer des Hauses Huttenstraße 17 sowie des sich darin befindlichen Steuerbüros im Vorstand der Bürgerstiftung seien. Zum Dachgeschoss merkte Jung an, dass die dort vorgesehene 150 qm große Wohnung sicher nach Vorsehung von Dachgauben auch ein attraktives Wohngefühl erzeuge, vielleicht auch für den schon längst feststehenden Mieter.
Ferner ging Jung auch der Frage nach, warum sich die Bürgerstiftung hier nicht intensiver ihren Stiftungszwecken verpflichtet fühlte, die unter anderem „Förderung von Kunst und Kultur, Denkmalschutz und Heimatpflege“ umfassen – und stellte dem gegenüber, welche zusätzlichen Ausgaben durch denkmalschützerische Auflagen die Eigentümer der 30 denkmalgeschützten Gebäude der Huttenstraße bei Renovierungen hatten und haben.
Jung stellte aber auch die Erfolgsbilanz der Bürgerstiftung in Zahlen vor, nämlich ein Unterstützungsvolumen von über 600 000 Euro in den Jahren 2004 bis 2018. Er selbst habe, wie viele andere im Saal auch, schon an die Bürgerstiftung gespendet und weiß um das positive Tun dieser Stiftung für unsere Stadt. Er rief alle zur weiteren Unterstützung dieser segensreichen Institution auf und hob hervor, dass sich seine Kritik lediglich auf dieses Bauvorhaben der Stiftung beziehe. An dieser Stelle erläuterte er auch, dass er sich bereits über drei Monate mit dem Thema „Huttenstraße“ beschäftigte. Mit Unterstützung der Kommission für Stadtgeschichte und des Landesdenkmalamtes bemühte er sich in Gesprächen mit der Bürgerstiftung, dem Architekten und weiteren Akteuren und ohne Einbeziehung der Öffentlichkeit um einen Ausgleich der stadthistorischen Interessen von Bruchsal als Barockstadt mit denen der Bürgerstiftung. Da diese Bemühungen jedoch nicht erfolgreich waren, habe er sich entschlossen, mit diesem Vortrag an die Öffentlichkeit zu gehen.
Seinen 75-minütigen Vortrag schloss Florian Jung mit der Feststellung, dass es in einer Stadt wie Bruchsal, in der es keine präzisen Bebauungspläne und keine Gestaltungs- oder Erhaltungssatzungen gibt, die sehr lockeren Baugesetze von Baden-Württemberg den Bauherren immer wieder ziemlich freie Hand geben. Dies untermauerte er beispielsweise mit einem Hinweis auf den von vielen Bruchsalern kritisierten Neubau in der Luisenstraße. Er erwähnte auch den Umgang mit dem denkmalgeschützten Rathaus, wo, so Jung mit einem amüsierten Lächeln, mittlerweile Unterhosen verkauft werden – wohl einmalig in Deutschland.
Nach seinem Referat erhielt Florian Jung lange anhaltenden Beifall. Dass das Thema einen Nerv unserer Stadtgesellschaft getroffen hatte, zeigten die vielen Diskussionsgruppen, die sich nach dem Referat in Gemeindesaal der Paulskirche bildeten, sowie die äußerst zahlreiche Beteiligung an der Unterschriftenaktion des Vereins „bruchsalia“.
Der Verein zur Erhaltung historischer Bauwerke in Bruchsal e.V., bruchsalia, sammelt derzeit auf seiner Homepage www.bruchsalia.de Unterschriften für einen Appell an die Bürgerstiftung Bruchsal, ihre Bauplanung für das Grundstück Huttenstraße 15 nochmals zu überdenken und unter dem Gesichtspunkt „Einfügen der Planung in das Gesamtensemble barocke Huttenstraße“ anzupassen. Hier der Link zum Appell: https://www.bruchsalia.de/appell-an-die-buergerstiftung-bruchsal/